Endlich ist es soweit! Lange hatte ich mir vorgenommen, den Mount Kawanori zu besteigen. Nun ist letzten Mittwoch der Tag gekommen. Unheimlich früh am Morgen machten Yuki und ich uns auf den Weg, denn das rare Tageslicht will gut ausgeschöpft sein.

Mein Zug startete um 05:05 Uhr Morgens vom Bahnhof Ekoda. Nach zweimal Umsteigen war der Plan, dass Yuki und ich uns in Tachikawa treffen und von dort aus gemeinsam weiterfahren. Aber bei Yukis Verbindungen von Yokohama aus klappte etwas nicht und so trafen wir uns erst in Oku-tama. Oku-tama ist die nächstgelegene Stadt, von der aus man einen Bus zum Beginn der Wanderroute zum Mt. Kawanori nehmen kann. Sie ist die letzte Station der Chuo-Linie. Interessanterweise liegt Oku-tama immer noch in der Präfektur Tokio. Es sieht dort aber so gar nicht mehr nach Tokio aus. Bei all den Hügeln und den verschlafenen Haltestellen, an denen der ab Ome-Station nur noch 4 Wagons lange Zug vorbei kommt, könnte man denken, man sei in einer sehr abgeschiedenen Präfektur gelandet, nicht jedoch in Tokio.

Ich kam um 07:30 Uhr an. Der nächste Bus zum Trail startete um 08:10 Uhr. Yuki würde um 08:05 Uhr ankommen. So vertrat ich mir also etwas die Beine, um warm zu bleiben und einen Eindruck von Oku-tama zu bekommen. In unmittelbarer Umgebung der Haltestelle gibt es eine große, sehr alt aussehende Fabrik. Parallel zu der Ortsstraße, die dem Bahnhof gegenüber liegt, verläuft ein Fluss aus den Bergen ins Tal. Gegen die Verlaufsrichtung des Flusses war ich kurz zuvor mit der Bahn angekommen.

Man kann sagen, dass das eine ganz schön lange Fahrt ist, für so ein bisschen Wandern. Ich finde auch, dass 2,5 Stunden im Pendlerzug mit zweimal Umsteigen und dann nochmal Busfahren ganz ordentlich ist. Aber mir ist es das ab und zu mal wert. Außerdem war meine Vorfreude spätestens ab dem Sonnenaufgang, der den klaren Himmel für den anbrechenden Tag offenbarte, sehr groß. So vergaß ich ganz, wie lang die Fahrt war.

Als Yuki dann ankam, ging alles ganz schnell. Der Busfahrer für unseren Bus, der seit meiner Ankunft vor dem Bahnhof parkte, (spawnte irgendwo) tauchte auf, eine handvoll anderer Leute und wir stiegen ein und los ging es.

Nach etwa 10 bis 15 Minuten Fahrt waren wir am Beginn des Trails angekommen. Wie schon in Oku-tama war es recht kalt, vielleicht 3 Grad Celsius. Aber die Sonne machte es erträglich und motivierte uns. Nur zwei andere Wanderer stiegen mit uns aus.

Die ersten ca. 30 Minuten führte der Weg noch über eine Straße. Sie war aber steil genug dafür, dass mir in meinen mehreren Schichten warm wurde und ich die oberste entfernte. Dies war eine Isolationsjacke, die ich vor vielen Jahren mal bekommen habe und die sehr günstig war. Ich bin immer noch sehr froh über diese Jacke, denn wenn immer mir mal kalt ist, ziehe ich sie über und nach ein paar Minuten ist mir wieder warm. So auch zum Beispiel Morgens in meinem (schlecht isolierten) Wohnheimszimmer.

Oh, ich schweife ab. Also, nach 30 Minuten ging es für uns auf richtigem Wanderweg weiter. Mir fiel recht schnell auf, dass der Weg, der an den unteren Hängen der umliegenden Berge emporführte, sehr schmal war. Außerdem lag er größtenteils mit dem Laub der umliegenden Bäume voll. Mir war da klar, dass das eine Wanderung werden würde, die ein ordentliches Mindestmaß an Konzentration erfordert. Wir gingen parallel zu einem Gebirgsbach mit mehreren kleinen Wasserfällen. Um uns herum gab es immer wieder Stellen, die stark mit Moos bedeckt waren. An einem größerern Wasserfall machten wir nach etwas über einer Stunde Wanderung unsere erste Pause. Es gab ein paar Onigiri mit Wasabi von Seven-Eleven, die ich sehr gerne mag sowie weitere Onigiri aus der Tüte. Die Onigiri aus der Tüte kann man sich in etwa wie Reis-Chips vorstellen.

Frisch gestärkt gingen wir dann weiter. Manche Passagen ab hier waren richtig steil und wir mussten ab und zu am Fels hochsteigen. Nach weiteren 40 Minuten (in etwa) kamen wir bei dem ersten Highlight unserer Wanderung an: Am mit Abstand größten Wasserfall des Baches. Ich schätze, dass er mindestens 15m hoch ist. Es war eine beeindruckende Atmosphäre. Nicht nur der bloße Anblick der Wasserfalls, sondern auch die leichte Gischt, die einem ins Gesicht getragen wurde, das laute Rauschen und der Wind, der aus der Richtung aus der wir kamen gegen die Felswand zu wehen schien. Wir verweilten ein paar Minuten. Yuki machte Fotos von den anderen beiden Wanderern, wofür diese danach ein Foto von uns machten.

Weiter ging es in Richtung Gipfel. Ich schätze, dass wir nochmal ca. 90 Minuten unterwegs waren. Ab und zu wurde uns kurz richtig kalt, wenn wir irgendwo im Schatten am Hang verweilten und starke Windstöße kamen. Dann wurde uns plötzlich wieder richtig warm, wenn wir eine lange steile Passage in der Sonne absolvierten. Auf den letzten Metern fanden wir sogar Bodenfrost vor, der uns verdeutlichte, dass es auf diesem Berg Nachts definitiv nicht sehr angenehm ist. Gegen 12:00 Uhr erreichten wir schließlich den Gipfel.

Es war eine sehr schöne Aussicht. Durch den klaren Himmel und den Sonnenschein konnten wir sehr weit schauen. Auf einigen der umliegenden Berge war Schnee auszumachen. Auch die Temperatur auf dem Gipfel war zeitweise angenehm. Wieso zeitweise? - Immer wieder sorgten starke Windböen dafür, dass es schnell sehr kalt wurde. Yuki hatte einen Camping-Kocher dabei. Damit bereiteten wir Cup-Noodles zu. Als netter Nebeneffekt konnte ich meine Hände an dem Gaskocher aufwärmen. Bei den Stäbchen musste Yuki etwas improvisieren. Als es dann soweit war, dass wir die Nudeln essen wollten, setzten wir uns von der Bank, die etwas durch Bäume geschützt ware, an das Ende der Gipfelfläche mit der besten Aussicht. Es war schön die Nudeln dort zu essen. - Schön kalt und windig!! So windig, dass mir die Nudeln, die ich gerade mit den Stäbchen angehoben hatte, mehrmals auf die Jacke und Hose geweht wurden. Dennoch schmeckten sie sehr gut und wärmten uns reichlich von innen auf. Darüber hinaus gab es Mochi und ein Fischbrötchen von Yuki.

Nach einiger Zeit machten wir uns auf den Rückweg. Unser Ziel war die Ortschaft mit dem Bahnhof zwei Stationen vor Oku-tama. Von dort aus wollten wir die Rückreise antreten. An manchen Stellen lag so viel Laub, dass wir Schwierigkeiten hatten, den Pfad zu erkennen. Doch langsam aber sicher bewegten wir uns abwärts. Mir gefiel, wie abwechslungsreich der Pfad war. Die Passagen, die nicht viel Sonne abbekommen, waren sehr düster und es gab nichts außer hohen Bäumen. An anderen Stellen war weiterhin viel Moos. Der Weg war zeitweise wirklich anspruchsvoll, da er oft steil war und es viel Geröll gab. Wir machten noch zwei weitere Pausen, die beide sehr angenehm waren. Wir konnten immer noch die Sonne genießen, aber den starken Wind vom Gipfel hatten wir nicht mehr. Und es war meistens komplett still. Einmal jedoch, kurz nach Beginn des Abstiegs, hörten wir den lauten, schrillen Ruf eines Tieres am gegenüberliegenden Hang. Vielleicht 80m entfernt. Wir hatten keine Idee, was das sein könnte und warteten etwas ab. Ich konnte auch Bewegungen sehen. Es war definitiv ein größeres Tier am Boden. Ein Japaner überholte uns, während wir warteten. Auf Yukis Frage hin, ob er wisse, welches Tier das sei, antwortete er nur “Ich mag diese Stimme.”…

Gegen halb vier kamen wir in der Ortschaft an. Noch eine halbe Stunde mussten wir an dem völlig leeren Bahnhof warten. Wir dösten in dem Bahnhofsgebäude. Es zog wie Hechtsuppe. Ich kaufte einen warmen Kaffee aus dem einzigen Automaten in der Nähe des Bahnhofs und wärmte mir damit erst die Hände, dann meinen Bauch und schließlich meine Kehle auf. Kurz bevor der Zug kam, tauchten wie aus dem Nichts die anderen beiden Wanderer, die mit uns gemeinsam gestartet waren, wieder auf.

Wir fuhren nicht direkt nach Hause. Ein paar Stationen weiter stiegen wir aus. Es sah wieder mehr nach Tokio aus. Wir gingen in ein japanisches Badehaus, das im Obergeschoss eines Einkaufzentrums direkt neben dem Bahnhof lag. Allein die Schuhe, wie es sich in Japan gehört, am Eingang des Badehauses auszuziehen und von da an in Socken weiterzugehen, war ein Segen. Wir saßen im heißen Bad im Außenbereich des Badehauses und ich ging mehrfach in die Sauna. Es war mittlerweile dunkel. Nach dem Baden aßen wir im zum Bad gehörigen Restaurant zu Abend und tranken Bier dazu. Immer noch nur in Socken. Ich habe mich selten so entspannt gefühlt. Auf der Heimfahrt schlief ich im Zug sofort ein. Danke Yuki fürs Wecken bevor ich Umsteigen musste.