Winter - nicht wirklich in Tokio

In Tokio gibt es im Winter durchschnittlich einen Tag mit Schneefall pro Jahr. In Kombination mit all den Schnee-armen oder sogar schneelosen letzten Wintern in Deutschland stimmte mich diese Information ein wenig traurig. Durch den Youtube-Channel “Life Where I Am From” durfte ich jedoch lernen, dass Aomori ganz im Norden der Insel Honshu die Großstadt mit dem meisten Schneefall der Welt ist. Das ist doch schon mal was! Das Bedürfnis “richtigen” Winter zu erleben teilte ich mit Gabriel und Eben aus dem Wohnheim. Weitere Gemeinsamkeiten: Wir wollten alle mal für ein paar Tage raus aus Tokio und unserem Wohnheim. Und: Wir wollten die Shinkansen Bullet-Trains nutzen. So buchten wir also kurz nach Weihnachten den sogenannten JR EAST PASS (Region Tohoku). Mit diesem kann man für den Preis von ¥20.000 fünf Tage lang jeden JR-Zug im ganzen Norden der Insel Honshu nutzen, ausgehend von Tokio.

Um diese Möglichkeit ausführlich zu nutzen, bereiteten wir die Reise genaustens vor. Im Essbereich unseres allzeit geliebten Wohnheims sitzend (AC-Modus: Heizen) planten wir Züge, Unterkünfte und Aktivitäten für jeden Tag. Die JR-Pässe kauften wir im Bahnhof Ikebukuro. Dort reservierten wir auch gleich Plätze für unsere Shinkansen-Fahrten. All dies geschah an Automaten. Und der Bahnhof ist der drittmeistfrequentierte in der Welt. Es liefen also nie endende Ströme an Menschen an uns vorbei, während wir uns mit den Automaten rumschlugen. Am Ende waren wir aber erfolgreich und hatten 19 kleine türkisfarbene Magnet-Tickets: 3 JR-Pässe, 5 mal 3 Reservierungen für Shinkansen und eine Quittung.

Tag 1: Tokio -> Sendai <-> Matsushima

Am 02.01. ging unsere Reise schließlich los. Unser Zug startete um 7:41 von Tokyo Station. Am Bahnhof holten wir uns ein “Ekiben” ( = Eki-Bento, Bahnhofsessen für Unterwegs) und dann kam auch schon unser Hayabusa Shinkansen. Gabriel trug übriges genau die Farben, die der Zug auch hat, wow! Das Finden des richtigen Wagons war Japan-typisch sehr einfach, da überall auf dem Bahnsteig Markierungen angebracht sind, die anzeigen, welche Wagennummer an der jeweiligen Stelle hält.

Vom Zug hatten wir eine tolle Aussicht über das morgendliche Tokio. Die Sicht war klar und wir konnten mal wieder den gewaltigen Fuji in über 100 km Entfernung sehen. Ich war beeindruckt von der Geschwindigkeit des Zuges bei gleichzeitig sehr hohem Fahrkomfort. Vor allem die Beinfreiheit im Shinkansen ist sehr gut. Vermutlich, damit die Sitzbänke drehbar sein können. Wir fuhren durch viele Tunnel und irgendwann, gerade wieder aus einem Tunnel kommend, war die Landschaft draußen plötzlich weiß.

Gegen 9:00 Uhr kamen wir dann in Sendai an. Wir erkundeten erstmal die nähere Umgebung des Bahnhofs. Da wir mitten in den Neujahrsfeiertagen waren, waren typische Attraktionen von Sendai wie der Fischmarkt geschlossen. Die lange überdachte Einkaufspassage, die vom Bahnhof schnurgerade nach Westen führt, war jedoch geöffnet. Unzählige Japaner waren dort fleißig am Shoppen. Unter anderem wurden “Überraschungstüten” gekauft, die eine Auswahl der Produkte der verschiedenen Läden zu einem (angeblichen) Schnäppchenpreis enthielten. Außerhalb der Passage schneite es ganz leicht. Der Schnee blieb allerdings nicht liegen.

Nach einer guten Stunde gingen wir in ein Café relativ am Ende der Passage, um uns erstmal zu sammeln. Wir planten den Rest des Tages: Sachen zur Unterkunft bringen, kostenlose Aussichtsplattform auschecken, nach Matsushima fahren. So gingen wir dann auch vor. Unsere Unterkunft war sehr eng und saukalt, dafür aber günstig und trotzdem irgendwie gemütlich. Die Aussicht über Sendai war sehr cool. In der Ferne konnte man die über 100 Meter hohe Buddha-Statue der Stadt sehen. Außerdem sahen die Shinkansen, die alle paar Minuten den Bahnhof ansteuerten oder verließen, von oben irgendwie niedlich aus.

Vom Bahnhof fuhren wir dann mit einem JR-Regionalzug nach Matsushima. Wir realisierten direkt, dass wir nicht mehr in Tokio waren. Auf den Zug mussten wir nämlich ca. 20 Minuten warten. Das waren wir von Tokio nicht mehr gewöhnt, da dort die Züge alle paar Minuten fahren.

In Matsushima war es durch starken Wind super kalt!! Es waren ca. -1 Grad Celsius. Aber mit dem Wind waren es gefühlt -10. Das hinderte aber einige junge Japanerinnen trotzdem nicht am Tragen von sehr kurzer Beinbekleidung wie Miniröcken. Unserer Beobachtung nach auch ohne Strumpfhose. Irre, wie halten die das aus?? Wir erkundeten das Gebiet und dachten darüber nach, Austern zu essen, die eine Spezialität des Ortes zu sein schienen. Außerdem bewarfen wir uns mit den ersten Schneebällen, denn hier war schon Schnee liegen geblieben.

Auch gingen wir auf die Insel Fukuurajima, die man mit einer Brücke erreichen kann. Ich war sehr beeindruckt von den ganzen immergrünen Pflanzen, die sicherlich unter dem kalten Wind, den niedrigen Temperaturen und dem Schnee zu leiden hatten. Wir liefen etwa 2 Stunden rum, bewarfen uns weiter mit Schneebällen und fanden sogar Abdrücke von Balenciaga-Schuhen. Uns war schon vorher aufgefallen, dass viele andere Besucher trotz des harschen Wetters sehr modisch und teuer, nicht aber unbedingt kälteschützend gekleidet waren.

Dann wurde es wirklich Zeit für etwas Warmes zu essen. Wir gingen in ein Restaurant an der Uferpromenade und bekamen einen traditionell japanischen Tisch (erhöht auf Tatami-Matte sitzend, ohne Schuhe). Eben hatte Curry, Gabriel Soba mit Austern und ich Reis mit Aal. Danach spazierten wir noch etwas durch den Teil des Ortes etwas abseits der Küste und traten schließlich Heimfahrt an. Ob ihrs glaubt oder nicht, in Sendai aßen wir direkt wieder: Hokkaido-Ramen in der Nähe des Bahnhofs. Das Laufen in der Kälte hatte uns einfach sehr hungrig gemacht.

Zum Schlafen hatten wir dann glücklicherweise Heizdecken für unsere Futons. Am nächsten Morgen teilte mir Gabriel mit, dass er zweimal aufgewacht war: Beim ersten Mal war ihm durch die zu heiße Heizdecke so warm, dass er aus italienischen Gewohnheiten im Halbschlaf die Decke von sich riß und ohne wieder einschlief. Kurz danach war er ein zweites Mal aufgewacht wobei ihm bitterkalt war. Mit der Heizdecke auf mittlerer Stufe konnte er schließlich gut weiterschlafen. Ich schätze, dass die Temperatur im Haus bei ca. 5 Grad Celsius lag.

Tag 2: Sendai -> Aomori <-> Asamushi Onsen

Am zweiten Tag standen wir wieder sehr früh auf, denn der nächste Shinkansen wollte erwischt werden. Wir versuchten die Kälte im Hostel zu ignorieren und uns schnell vorzubereiten. Auf dem Weg zum Bahnhof (ca. 1 km) kauften Eben und ich heißen Kaffee aus irgendeinem Automaten. Er schmeckte wie ein Schlag ins Gesicht. Die warmen Getränke aus den Automaten mögen ja praktisch sein. Aber ich glaube, das dauerhafte Warmhalten bekommt dem Geschmack nicht. Der einzige warme Kaffee, aus den Automaten, den ich empfehlen kann ist “Tully’s Barista Black - Premium Beans”. Den habe ich auf der Reise einige Male getrunken. Es gibt ihn in den “acure”-Automaten, die eigentlich in allen JR-Stationen stehen.

Noch im Bahnhof holten wir uns außerdem ein wenig Konbini-Essen als Frühstück. Das waren vor allem Onigiri und Sandwiches. Alles wurde umgehend im Stehen vor dem Konbini vertilgt, denn wir waren schon wieder hungrig.

Mit dem nächsten Hayabusa Shinkansen ging es dann nach Aomori. Bis Morioka war die Reisegeschwindigkeit 320km/h; danach 260km/h. Es ging wieder durch viele Tunnel und der Schnee um uns herum wurde immer mehr. Manchmal fuhr der Zug mit voller Geschwindigkeit durch Bahnhöfe hindurch. Beeindruckend.

Gegen 10 Uhr kamen wir in Shin-Aomori an. Mit einem lokalen Zug mussten wir weiter zum eigentlichen Bahnhof Aomori im Stadtzentrum, in dessen Nähe auch unser Hotel lag. Wir hatten jedoch ordentlich Zeit bis zum nächsten Zug (nicht Tokio) und so alberten wir etwas im Schnee vor dem Bahnhofsgebäude rum. Die Tiefe war ca. 25 cm. Wie wir später herausfinden sollten, war es bisher ein Winter mit ungewöhnlich wenig Schnee für Aomori gewesen. Als unser Zug dann kam, waren wir ganz überrascht von der Menge von Schnee, mit der er bedeckt war. Auch die Seiten waren voller Schnee bzw. vereistem Schnee.

Nachdem wir im Zentrum von Aomori angekommen waren, schauten wir uns erstmal die Gegend an, da wir noch nicht gleich im Hotel einchecken konnten. In dem großen dreieckigen Gebäude kann man im Erdgeschoss zahlreiche Mitbringsel (Omiyage) kaufen. Wir schauten uns dort um und Eben kaufte ein paar Apfel-Küchlein. Abgesehen davon gab es wirklich nicht viel zu sehen.

Es erschien uns, als hätte man in der Stadt wirklich mit dem Schnee zu kämpfen. An manchen Straßenecken wurde er meterhoch aufgetürmt. Auf der Hauptstraße waren kleine Öffnungen angebracht, aus denen Meerwasser auf die Straße strömt. Lieber Salzwasser unter den Autos, als eine Straße voller Schnee. Die Klimaanlagen und Messgeräte an den Häusern hatten zusätzliche kleine Dächer, um sie vor dem Schnee zu schützen.

In der Nähe des Bahnhofs fanden wir den Fischmarkt vor. Leider war dort aber gar nichts los. Vermutlich waren wir zu spät und/oder es lag wieder an den Feiertagen. Wir aßen dann in einem lokalen, urigen Restaurant zu Mittag. Eben hatte Thunfisch-Sashimi, ich hatte eine Reisschale mit Austern und Gabriel hatte einen Hotpot. Alle waren sehr zufrieden. Danach liefen wir noch etwas am Pier entlang. Der ganze Schnee machte es schwierig, zu erkennen was darunter ist. Manchmal war er dann plötzlich 80 cm tief. Als dies neben Treppenstufen geschah, wurde mir etwas mulmig. Wenn man das Areal nicht genau kennt, ist es gefährlich. Wir hielten uns also eher an bereits vorhandene Spuren im Schnee.

Gegen 14 Uhr checkten wir ein. Wir übernachteten im JAL-Hotel und das war unsere mit Abstand komfortabelste Unterkunft auf dem ganzen Trip. Das Zimmer war durch die starke Heizung und die bequemen Betten das komplette Gegenteil zu dem von der Nacht davor. Wir flezten herum und genossen die Wärme.

Irgendwann am Nachmittag machten wir uns wieder auf den Weg nach Aomori-Station. Von dort aus fuhren wir mit der Aoimori-Linie nach Asamushi-Onsen, das im Nordosten von Aomori an der Küste der Bucht liegt. Ich war einmal mehr überrascht, wie schnell die Züge über die verschneiten Gleise fahren. Wir kamen kurz vor Sonnenuntergang in Asamushi-Onsen an. Es war enorm windig. In manche Böen konnte ich mich fast hineinlehnen ohne umzufallen. Lange hielten wir das nicht aus. Glücklicherweise war direkt am Hafen des kleinen Ortes das Gemeindezentrum, auf dessen fünfter Etage ein Onsen ist, von dem aus man einen perfekten Ausblick auf die Küste hat. Dort gingen wir eilig hinein. Die zwei Becken waren 40 und 42.5 Grad Celsius heiß und mir hat es sehr gefallen. Ein wenig habe ich eine Sauna vermisst. Aber dafür hat es auch nur 300¥ gekostet. Gabriel unterhielt sich einige Zeit mit einem Japaner, der mit seinen Söhnen in dem heißen Bad war. Dieser kam aus dem Ort und nannte ihm die Namen der kleinen Inseln, die man draußen in der Bucht sehen konnte.

Nach dem Onsen fuhren wir wieder heim, aßen bei Hidakaya-Ramen zu Abend und sahen anschließend auf unserem Zimmer fern. Nach ca. anderthalb Stunden gingen Gabriel und ich nochmal durch Aomori spazieren, in eine andere Richtung als zuvor tagsüber. Es war am schneien und mir gefiel das nächtliche Aomori sehr. Es waren einige sichtlich betrunkene Leute zwischen Izakaya und Ramen-Restaurants unterwegs. Wir kehrten jedoch nirgends ein.

Das soll es erstmal gewesen sein. Tag 3-5 führten uns zurück über Sendai durch Yamadera nach Yamagata und schließlich über Nikko zurück nach Tokio. Über diese Tage will ich in einem zweiten Artikel berichten. Aber soviel vorweg: In Yamagata gab es nochmal viel mehr Schnee.