Mannomann, das hat ja ganz schön gedauert

Heute möchte ich den zweiten Teil unserer Tohoku-Reise teilen. Es hat ganz schön gedauert, bis ich nun endlich mal dazu gekommen bin ihn zu schreiben. Ich will hier auch gar nicht groß Ausreden anführen aber ich sage einfach mal, dass es an der Prüfungsphase liegt. Heute habe ich zwei Prüfungen gehabt - einen Vortrag und eine schriftliche Prüfung. Nun nehme ich den Abend danach zum Anlass, um endlich mal die Erinnerungen an die zweite Hälfte des Trips aufzuschreiben. Nicht, dass ich bald alles vergesse.

Tag 3: Aomori -> Yamadera -> Yamagata

Am dritten Tag unserer Reise haben wir uns wieder sehr früh auf den Weg gemacht. Die Nacht im JAL-Hotel in Aomori war wirklich sehr erholsam. Das Bett war um einiges komfortabler als mein Bett im Wohnheim. Und die Wärme der Klimaanlage kam uns nach der kalten ersten Nacht sehr gelegen. Auf dem Weg zum Bahnhof durch die verschneiten Seitenstraßen versuchte ich noch hastig, ein paar Fotos von den Anti-Schnee-Maßnahmen zu machen. Zum Beispiel hatten alle Klimanalagen an den Häusern kleine Dächer. Auch über Büschen oder Sträuchern waren kleine Schutzdächer angebracht. Mir sind aber leider keine guten Fotos gelungen.

Mit dem irre schnellen Hayabusa-Shinkansen ging es zurück nach Sendai. Frühstück holten wir uns alle noch nicht. Wenn ich mich richtig erinnere, dann schlief ich im Zug einfach direkt wieder ein. Zurück in Sendai, deckten wir uns alle mit Frühstück aus einem “New Days”-Konbini im Bahnhof ein. Wir verließen den Shinkansen-Bereich des Bahnhofs und gingen zum Bereich für die Lokalzüge. Unser Zug nach Yamagata stand schon bereit. Erst sah er (leider) wie ein ganz normaler Pendlerzug aus, bei dem alle in einer Reihe mit dem Rücken zum Fenster sitzen. Diese sind für längere Fahrten nicht so komfortabel, weil man immer auf den Bereich vor sich achten muss und nicht die Beine ausstrecken und einfach rumfläzen kann. Als Pendlerzüge machen sie natürlich Sinn, da man in diese Bauweise die meisten (stehenden) Leute reinquetschen kann.

Glücklicherweise war er dann aber innen doch etwas anders strukturiert: Es gab herkömmliche Sitzbänke, bei denen sich zwei Sitze gegenüber liegen (“Vierer”). Sogar eine Toilette war an Bord. Wir bezogen also unseren Posten in einem Vierer-Sitzbereich in dem Zug und Gabriel ging sich nochmal Nachschub für sein Frühstück holen. Ich lief noch etwas auf dem Bahnsteig rum.

Nachdem der Zug losgefahren war, ging es zunächst mal nur durch Sendai und seine unspektakulären Vorstädte. Nach einigen Stationen klappte uns allen aber zunehmend die Kinnlade runter. Denn je weiter es von der Küste weg ins Inland von Honshu ging, desto mehr Berge und Schnee waren um uns herum. Nach einiger Zeit waren wir von ca. 50 cm Schneehöhe umgegen. Es war sehr beeindruckend. Dazu kam, dass die Route des Zuges zumeist mitten zwischen den Bergen hindurch führte.

Yamadera kam näher und Gabriel sagte, dass er das eigentlich gerne sehen würde. Wir diskutierten zum ersten Mal an dem Tag über unsere Pläne und stellten fest, dass wir gar nicht so richtig welche hatten. Die Station Yamadera kam und wir waren immer noch am überlegen. Dann stiegen wir spontan aus. Wahrscheinlich lag es daran, dass der Ort und die Umgebung vom Zug aus einfach unwiderstehlich aussahen.

Eben und Gabriel schlossen ihre Rucksäcke in ein Schließfach ein. Ich behielt meinen und kaufte stattdessen eine weitere Dose meines Lieblingskaffees an einem Automaten. Wir gingen über die spiegelglatte Straße durch den Ort. Eine Brücke führte uns über einen Fluss. Hinter der Brücke ging die Straße nach links und nach rechts weiter. Wir gingen nach rechts. Dabei folgten wir der Beschilderung in Richtung des Tempels. Dafür ist Yamadera berühmt: Die Anlagen des Risshaku-ji liegen auf einem Hügel, von dem aus man einen tollen Ausblick über die Stadt hat. An der Straße entlang befanden sich mehrere Restaurants und Souveniergeschäfte.

Irgendwann begann dann links der Weg zu all den Schreinen. Eine Treppenstufe führte uns zu dem ersten hinauf. Uns fiel direkt auf: Sie war voller Schnee. Oben Neuschnee und darunter festgetretener Schnee. Dadurch war es ganz schön riskant, die Treppe hinaufzusteigen. Dieses Muster sollte sich aber für unsere gesamte Wanderung zu den Schreinen fortsetzen. Wir mussten hunderte, teils steile Treppenstufen hinauf. Und alle lagen voller Schnee, der teils durch das Festtreten zu Eis geworden war. Super gefährlich, um ehrlich zu sein! Nichtsdestotrotz machten sich mit uns zahlreiche andere Leute auf den Weg nach oben. Ebensoviele kamen uns bereits entgegen. Manche mal wieder sehr stylisch, mit Markenkleidung und Sneakers. Auch einige Leute weit über 60 waren zu unserem Erstaunen unterwegs.

Ein paar mal rutschten wir aus aber ansonsten kamen wir heil oben an. Der Ausblick über den Ort war sehr schön. In einem überdachten Aussichtspunkt verweilten wir einige Minuten. Auf der Innenseite des Daches hatten zahlreiche Menschen ihre Visitenkarten hinterlassen, um von ihrem Besuch zu zeugen. Wir liefen bzw. stapften noch einige Zeit dort oben herum und machten uns dann vorsichtig an den Abstieg.

Auch unten kamen wir wieder heil an. Auf dem Rückweg zum Bahnhof kehrten wir an der Straße in ein Ramen-Restaurant ein, das mit selbstgemachten Nudeln warb. Das war das beste Ramen, das ich je hatte!! Ich lasse das Bild für sich selbst sprechen.

Danach setzten wir unsere Fahrt nach Yamagata fort. Dort mussten wir vom Bahnhof etwa 1,5 km zu unserem AirBnb laufen. Als wir es endlich erreicht hatten, erfroren wir erstmal fast. Im Haus war es gefühlt nochmal ein Grad kälter als draußen. Gabriel und ich waren beide der Meinung, dass der Host ruhig mal ein wenig für uns hätte heizen können.

Abends kauften Eben und Gabriel ein und kochten Spaghetti Carbonara. Ich ging in der Zeit nochmal zum Bahnhof zurück, um für uns Shinkansen-Tickets für den nächsten Tag zu organisieren. Nach den Carbonara schliefen wir alle schnell ein.

Tag 4: Yamagata <-> Ginzan Onsen

Am nächsten Tag schliefen wir erstmal aus. Bis halb zehn!! Das war wohl dringend nötig gewesen. Wir realisierten, dass wir gar nicht mehr soo viel Zeit bis zur Abfahrt des nächsten Zuges hatten und holten uns schnell ein wenig Frühstück vom Discounter in der Nähe. Dann eilten wir zum Bahnhof. Gerade noch rechtzeitig im Zug, nahmen wir unsere Plätze im ersten Wagon ein. Nur um dann festzustellen, dass der Zug doch erst einige Minuten nach der Abfahrtszeit losfuhr. Schneebedingte Verspätung. Wir fuhren für ca. eine halbe Stunde und stiegen dann in Oishida aus. Dort stiegen viele andere Leute mit uns aus. Direkt beim Aussteigen begannen einige der anderen schon zu rennen, um den Bus nach Ginzan Onsen noch zu bekommen. Wir rannten nicht. Wir waren uns alle einig, dass das nicht unser Stil ist. Also gingen wir zügig zum Bus. Der stand bereits dort und es hatte sich eine Schlange formiert. Die 4 Frauen aus Hong Kong, die vor uns in der Schlange waren, kamen als letzte noch in den Bus hinein. Dann war er gerammelt voll und fuhr los. So hatten wir also knapp 1,5 h (!) auf den nächsten Bus zu warten. Gabriel und ich ärgerten uns etwas. Eben hingegen schien das nicht so wirklich zu stören und er genoß eher die Schneemassen, die es in dem Ort gab. Außerdem lernten wir Leo aus Deutschland kennen, der ebenfalls aus Yamagata gekommen war und genau wie wir den Bus verpasst hatte. Wir einigten uns darauf, gemeinsam nach Ginzan Onsen weiterzureisen.

Für den nächsten Bus standen wir rechtzeitig an und bekamen alle einen Sitzplatz. Der Bus fuhr uns durch das absurde Schneechaos in der Region. Es war offensichtlich, dass die Menschen hier tagtäglich mit den Schneemassen zu kämpfen hatten. Ich schätze, dass ca. 1 Meter an Schnee lag. Zur Bekämpfung des Schnees hatten einige Leute Schläuche, aus denen warmes Wasser hervorquilt, vor ihren Häusern.

Nach ca. einer Stunde kamen wir in Ginzan Onsen an. Wir schauten uns einige Zeit um und waren beeindruckt von den prächtigen Badehäusern. Ich gebe zu, dass ich allerdings auch etwas eingeschüchtert war. Auf den Dächern lag derselbe Meter Schnee und ragte an manchen Stellen gefährlich weit über die Dachkante hinaus. Leider konnten wir keines der Onsen betreten. Fast alle sind nur für Übernachtungsgäste. Beide Onsen, von denen wir wussten, dass sie auch Tagesgäste hereinlassen, hatten zu dieser Zeit am Nachmittag schon geschlossen.

Ein wenig enttäuscht entschlossen wir uns, den nächsten Bus zurück zu nehmen. Immerhin der vorletzte Bus für den Tag. Es dämmerte bereits. Auf den Bus hatten wir dann über eine Stunde zu warten, da er massiv verspätet war. Die Straße, an der er uns abholen sollte, war mittlerweile spiegelglatt geworden. Tagsüber hatte es nämlich getaut und nun mit Einbruch des Abends war der ganze angetaute Schnee wieder gefroren. Es war schon etwas komisch, an dieser schlittschuhtauglichen Straße zu warten, während es dunkel wurde und zahlreiche Leute, die vorbei kamen, mit dem Ausrutschen zu kämpfen hatten.

Als der Bus dann endlich kam, rollte er geradewegs an uns vorbei, weiter die Straße ins Tal Richtung Ginzan Onsen herab. Der Grund: Er hatte keine Schneeketten und konnte nicht auf der gefrorenen Straße rückwärts fahren, um zu wenden und uns frierende Gäste einzusammeln. Ein Radlader mit Schneeketten kam nach einigen Minuten und zog den Bus für uns herauf. Alltag in Ginzan-Onsen?

Wir wurden heil zurück zum Bahnhof gebracht. Von dort ging es zurück nach Yamagata, wo wir vier zusammen Hokkaido-Ramen aßen. In dem Ramen-Restaurant trafen wir noch fünf sichtlich angetrunkene junge Japaner und hatten ein nettes Gespräch. Zurück in der Unterkunft duschte ich erstmal heiß.

Tag 5: Yamagata -> Nikko -> Tokio

Natürlich ging es am letzten Tag wieder früh los. Wir versorgten uns im Bahnhof mit Onigiri und warmem Grünetee und nahmen Abschied von Yamagata. Mit dem Tsubasa-Shinkansen ging es über Fukushima und Utsunomiya nach Nikko.

Darüber gibt es eigentlich gar nicht mehr so viel zu berichten. Wir stiegen in Nikko aus und gingen die Straße entlang zu dem Areal mit all den Schreinen und Tempeln. Dort besuchten wir den Tosho-gu. Nachmittags tranken wir noch Kaffee in einem schönen Café in der Nähe der Schreine.

Für mich hatte dieser Tag eine magische Atmosphäre. 2017 war ich schonmal in Nikko und bei dem Schrein gewesen. Schon damals hatte ich einen Omamori gekauft. Dieser wurde mir in Leipzig von meinem geparkten Fahrrad gestohlen. Nun hatte ich den gleichen Omamori erneut gekauft. Auch das Café hatte ich 2017 bereits besucht. Ich empfand darüber eine Art innere Zufriedenheit und es störte mich überhaupt nicht. Im Gegenteil. Obwohl ich Nikko und den Schrein schon kannte, genoß ich den Aufenthalt sehr. Einen entlegenen, schönen Ort ein zweites Mal zu besuchen ist nochmal etwas ganz anderes als nur ein einziges Mal zu kommen. Vor allem die Tatsache, dass ich den Besuch mit Freunden teilen konnte war sehr schön. Und nun habe ich sogar ein wenig das Gefühl, dass ich irgendwann, wie selbstverständlich, erneut dort hin gehen werde.

Nachmittags ging es dann zurück nach Tokio. Schon in Nikko hatte kein Schnee mehr gelegen.